Medizinische Berufe im Spannungsfeld zwischen Ethos und Kommerz

Zu einem Kolloquium unter dieser Themenstellung hatten am 11. Dezember 1999 der Verein zur Förderung von Kultur, Wissenschaft und politischer Bildung ELBE-SAALE sowie die Beratungs- und Begegnungsstätte Bürgerladen e.V. eingeladen.
Der Termin - von den Veranstaltern bewußt gewählt - sollte nicht nur an den Geburtstag des großen deutschen Arztes und Bakteriologen Robert Koch, sondern auch an den in der DDR begangenen "Tag des Gesundheitswesens" erinnern. Gekommen waren neben VertreterInnen medizinischer Berufe, der Medizin-Ethik, der Gesundheits- und Sozialpolitik auch viele Bürgerinnen und Bürger, die die laufende Debatte zur Gesundheitsreform in Deutschland mit Interesse verfolgten.
Helene Goldbruch, Vorsitzende des Bürgerladens, hob in ihrer Begrüßung die inzwischen zur Tradition gewordene Durchführung gemeinsamer Veranstaltungen zu Fragen der Entwicklung des deutschen Gesundheitswesens mit ELBE-SAALE e.V. hervor. Der Medizin-Ethiker Prof. Dr. Ernst Luther verwies als Moderator der Veranstaltung zu Beginn darauf, wie notwendig der Gedankenaustausch zur Gesundheitsreform unter Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit sei. Erfahrungen des DDR-Gesundheitswesens müßten aufgearbeitet werden unter Anerkennung der Tatsache, daß es neben Kritikwürdigem auch Erhaltenswertes gab.
Gerda Krause (MdL), sozial- und gesundheitspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, ging in ihrem Vortrag vom Scheitern der Gesundheitsreform der rot-grünen Regierungskoalition aus. Von dem, was ursprünglich als großes Reformpaket konzipiert war, sei lediglich ein Torso geblieben, mit dem das Gesundheitswesen der BRD nicht grundlegend verändert werden könne. Künftig gehe es um eine Grundsatzentscheidung: Entweder überwiegend marktwirtschaftliche Orientierung und damit zunehmende Privatisierung des Gesundheitsrisikos oder Verteidigung und Erneuerung einer allen gleichermaßen zugänglichen, sozial gerechten und humanen Gesundheitsversorgung. Als Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse stelle sich für das Gesundheitswesen zugespitzt die Frage, ob es dem Markt oder dem Menschen gehört. Die Referentin setzte sich mit dem nach ihrer Meinung oft zu einseitig gebrauchten und damit irreführenden Argument der Kostenexplosion auseinander. Vor allem die veränderte Einnahmesituation sei es, die die Tätigkeit der Ärzteschaft immer mehr der Kommerzialisierung unterwerfe, wodurch ethische Ansprüche zunehmend in den Hintergrund gerieten. Neoliberale Modelle zur Lösung von Wirtschaftlichkeits- und Finanzproblemen führten - dies zeige die Praxis - zu finanziellen Mehrbelastungen für die PatientInnen, Stellenabbau im Gesundheitswesen, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals, Abstrichen an der medizinischen Leistungsfähigkeit, existenziellen Bedrohung niedergelassener ÄrztInnen etc. Bundestagsgruppe und Landtagsfraktion der PDS stünden vehement gegen eine solche Orientierung, denn das Gesundheitswesen dürfe kein Profitbereich sein. Das Reformvorhaben der gegenwärtigen Regierung - so Gerda Krause - werde nicht grundsätzlich abgelehnt. Es finde beispielsweise Unterstützung in bezug auf das Festhalten an einer solidarischen Absicherung des Krankheitsrisikos, an der gemeinsamen, paritätischen Finanzierung durch ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen, am Sachleistungsprinzip sowie an einem für alle gültigen, am Bedarf orientierten und medizinisch vollwertigen Leistungskatalog. Kritisiert werde vor allem, daß sich die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen hinsichtlich der Prämissen und Wirkungen nach wie vor am liberalen Ansatz orientieren und den Rahmen des vorhandenen Systems nicht überschreiten.
Prof. Dr. Bauer (Heidelberg) beschrieb in seinem Beitrag einige Probleme, die sich aus den ständig wachsenden Möglichkeiten der modernen Medizin für eine gerechte, finanzierbare und ethischen Ansprüchen genügende gesundheitliche Versorgung ergeben. Insbesondere die Hochleistungsmedizin sei mit einer enormen Steigerung der Kosten verbunden, was angesichts des Sparzwangs und veränderter demographischer Bedingungen die Frage aufwerfe: Wer entscheidet künftig darüber, von wem diese Möglichkeiten genutzt werden können? Er verwies auf mögliche Folgen für den Versicherungsschutz der Menschen, z.B. im Zusammenhang mit genetisch bedingten Risiken. Eine faire Vorgehensweise müsse sich durchsetzen, was jedoch angesichts hoher Erwartungen der Öffentlichkeit an die Hightechmedizin und der verbreiteten Vorstellung, sie könne jedes Problem lösen, schwierig sei. Intensivmedizin - so Bauer - werde niemals eine statistische Angelegenheit, sondern immer eine individuelle bleiben. Technisches und ethisches Profil müßten zu einem Gesamtprofil vereint werden. Die reine Orientierung auf den Markt gehe auf Kosten der sozialen Fürsorge.
Prof. Dr. Baust (Halle) setzte sich aus der Sicht des Mediziners vor allem damit auseinander, daß Probleme im Gesundheitswesen zunehmend auf die PatientInnen abgewälzt werden. Sparen sei ein Kompromiß mit äußerst negativen Auswirkungen, auch für die Ärzteschaft. Der medizin-technische und pharmazeutische Markt dränge zum Erfolg (Profit), werde aber immer weniger bezahlbar. Die damit zwangsläufig verbundene Tendenz zur Selektion bei der medizinischen Versorgung zeige, daß die Moral inzwischen "elastischer" geworden sei. Er appellierte an die Ehrlichkeit der PolitikerInnen und zugleich an die Courage der ÄrztInnen, sich nicht einfach dem politischen Diktat unterzuordnen. Angesichts vieler Probleme im Umfeld der Gesundheitsreform müßten von den Parteien - unter besonderer Berücksichtigung der Prävention - gemeinsame Überlegungen angestellt werden.
Dr. habil. Schubert-Lehnhardt (Halle) machte in ihrem Vortrag auf der Grundlage von Befragungsergebnissen unter anderem auf die unzureichende Informiertheit der Bevölkerung zu entscheidenden gesundheitspolitischen Fragen aufmerksam. Unklare Vorstellungen und äußerst