Schöne neue Welt - Perfektion oder Perversion?

Ein Beitrag zu den Diskussionen um die Fortpflanzungsmedizin in Deutschland
Im Jahre 1906 prägte der britische Biologe William Bateson, einer der führenden Mitbegründer der auf der Gültigkeit der Mendelschen Gesetze aufbauenden Vererbungsforschung, für das von ihm vertretene Forschungsgebiet den Namen Genetik. Er leitete diesen Begriff von Genesis - das Werden, die Schöpfung - ab. Achtzehn Jahre nach Batesons Tod, 1944, erbrachten O.T. Avery, C.M. MacLeod und M. McCarty den Nachweis, dass Nucleinsäuren (zumeist DNA) die für den Vererbungsprozeß ausschlaggebende Substanz sind. Knapp ein Jahrzehnt später, im Jahre 1953, stellten die US-amerikanischen Wissenschaftler Francis H.C. Crick und James D. Watson der Welt ihr räumliches Modell der DNA-Doppelhelix vor. Dieses Modell prägt nunmehr seit Generationen im wesentlichen unsere Vorstellungen vom Aufbau der DNA. 1953 war auch das Geburtsjahr der Proteinsequenzierung (F. Sanger). In den siebziger Jahren gelang es erstmalig, ein gentechnisch verändertes Bakterium zu produzieren, ab 1975 wird die Methode der DNA-Sequenzierung labortechnisch genutzt . Jeden einzelnen dieser Schritte könnte man als kleine wissenschaftliche Revolution bezeichnen - eine Revolution, die bis in die 90er Jahre hinein nahezu unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit vor sich ging. Am Beginn des neuen Jahrtausend wird es immer offensichtlicher, daß Genetik und Reproduktionsmedizin, wie kaum eine Wissenschaft zuvor, Einfluß auf gesellschaftliche Grundnormen, auf unsere Vorstellungswelt vom Werden und Sein des Lebens nehmen werden. Die Entscheidung über die Anwendung gentechnischer Methoden, über Eingriffe in die Keimbahn höher entwickelter Lebewesen, über Fragen der Pränataldiagnostik (PD) und Präimplantationsdiagnostik (PID), über die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen etc. darf nicht allein den Wissenschaftlern, Politikern und Vertretern der Wirtschaft vorbehalten bleiben. Nur ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Möglichkeiten der Gentechnik und die klare Definition und gesellschaftliche Akzeptanz von Grenzen für die Anwendung obengenannter und anderer gentechnischer Methoden, wird verhindern, daß die von erklärten Gegnern der Gentechnik beschriebene, und zugegebenermaßen erschreckende, Vision vom genetisch genormten Menschen Realität werden könnte.
Fachbezogene Informationen, die auch für den interessierten Laien nachvollziehbar sind, spielen bei der Entscheidungsfindung, die von jedem Einzelnen allein vollzogen werden muß, eine entscheidende Rolle. Diese Informationen zu liefern, kann als eine der aktuellen Aufgaben der politischen Bildung betrachtet werden. Auch im April diesen Jahres organisierte der in Sachsen-Anhalt ansässige Bildungsverein ELBE-SAALE e.V. im Rahmen seiner seit mehreren Jahren stattfindenden Tagungsreihe zu gesundheitspolitischen und medizinethischen Entwicklungen eine zweitägige Fachtagung, deren Zielgruppen sowohl Wissenschaftler als auch interessierte Laien waren. Unter Bezugnahme auf das vieldiskutierte und oft zitierte Werk von Aldous Huxley "Brave New World" lautete das Thema der Veranstaltung "Schöne neue Welt. Perfektion oder Perversion?". Als Tagungsort wählte der Verein erneut die Gedenkstätte für die Opfer der "NS-Euthanasie" in Bernburg.
Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage, ob es der Medizin künftig erlaubt sein soll, die ihr heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik (PID) sowie der Stammzellforschung an menschlichen Embryonen zu nutzen oder ob Embryonenforschung aus vorrangig ethischen Gründen in der Bundesrepublik Deutschland verboten bleiben sollte bzw. weiterhin nur äußerst restriktiv zu handhaben sei. Wie stark die Meinungen zu diesem Thema auseinandergehen, zeigte sich bereits an den Beiträgen der Referentinnen und Referenten.
Dr. Michael Wunder (Hamburg) ging von den Visionen der heutigen Biomedizin aus. Es seien vor allem Visionen der technischen Machbarkeit eines "genetic enhancement" des Menschen. Mögliche Perspektiven einer genetischen Medizin veranschaulichte er an dem siebenstufigen "ethischen Eskalationsmodell", das von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der Universität München erarbeitet wurde. In sieben Stufen - angefangen bei der gentechnischen Herstellung von Medikamenten im Sinne einer Substitutionstherapie bis hin zur Keimbahntherapie zur Veränderung der menschlichen Gattung - sei hier die Anwendung der Gentechnologie auf die Humanmedizin prognostiziert worden. Eine Lobbygruppe von Betroffenen, die diesen Fortschritt fordert, gäbe es bereits auf fast jeder Stufe. Angesichts der Möglichkeit, daß Menschen ihre Evolution selbst in die Hand nehmen, müsse gefragt werden: Wo soll der Schnitt sein, die Schwelle, die nicht mehr überschritten wird? Die in Deutschland noch verbotene PID werde in der aktuellen Debatte - so Wunder - bisher weitgehend als spezifische Methode der pränatalen Diagnostik im Rahmen der assistierten Fortpflanzung betrachtet. Sie sei aber gleichzeitig der Einstieg in die Auswahl zweckbestimmter Embryonen, in den entmoralisierten Umgang mit Embryonen und die Voraussetzung für Verfahren zur genetischen Veränderung - letztlich für das Designer-Baby, was Fragen nach den Grundlagen und den Werten einer humanen Medizinethik aufwerfe. Bescheidenheit, Respekt vor dem Menschen, ganzheitliche Sicht und Gerechtigkeit müßten für das Gesundheitssystem der Zukunft Verpflichtung sein.
Klar abgelehnt wurden die PID und andere Methoden der vorgeburtlichen Diagnostik von Referentinnen und Referenten, die die Haltung von Behindertenorganisationen widerspiegelten - so zum Beispiel Frau Dr. Sigrid Graumann (Interfakultäres Zentrum für Ethik in den Wissenschaften Tübingen) und Herr Maik Nothnagel (MdL Thüringen). Diese Methoden würden die Gefahr der Diskriminierung behinderter Menschen in sich bergen und wären de facto eine Unterscheidung zwischen lebenswert und lebensunwert. Die Darstellung vorgeburtlicher Diagnosemöglichkeiten insbesondere in den Medien suggeriere zudem breiten Schichten der Bevölkerung, Behinderungen bei Neugeborenen seien vermeidbar. Dies impliziere einen Druck auf künftige Mütter, sich einer vorgeburtlichen Diagnose zu unterziehen und stelle somit einen Angriff auf die freie Entscheidung der Frau dar.
Auch für Prof. Dr. Ernst Luther (Halle) und Dr. habil. Viola Schubert-Lehnhardt (Bildungsverein ELBE-SAALE ) - beide Vertreter des Faches Medizinethik - bedeutet die PID einen Angriff auf die Würde des Menschen. Prof. Dr. Luther machte unter anderem deutlich, daß nach seiner Auffassung Embryonen, auch im frühesten Embryonalstadium, das heißt unmittelbar nach der Verschmelzung von Spermie und Eizelle, vollwertige menschliche Wesen seien und somit die Verwerfung von Embryonen im Rahmen einer PID der Tötung menschlichen Lebens entspricht. Eine Veränderung des seit 1991 geltenden Embryonenschutzgesetzes, das das Verbot der Nutzung menschlicher Embryonen zu einem anderen Zweck als der Erzeugung einer Schwangerschaft festschreibt, sei zu verhindern. Im Rahmen eines historischen Exkurses führte er des weiteren aus, daß der Begriff Menschenwürde in Verlauf der Geschichte unterschiedlich definiert wurde und damit die Charakteristika eines Zuteilungsbegriffs trage. Mit der gegenwärtigen Entwicklung der Medizintechnik erreiche die Diskussion um die Menschenwürde des Embryonen eine neue Dimension. Generell könne man seiner Ansicht nach bei der Betrachtung des Begriffs Menschenwürde zwei Grundrichtungen folgen. Die erste dieser Richtungen legt dem Begriff Menschenwürde, Vernunft, Rationalität, Freiheit der Entscheidung und ähnliche Definitionskriterien zugrunde. In der Endkonsequenz führe das zu einer Trennung von Person und Mensch, wobei nach Auffassung von Vertretern dieser philosophischen Richtung, zum Beispiel dem australischen Philosophen Peter Singer, eine Person ein Wesen sei, das Vernunft und Reflektionsfähigkeit besitzt. Singer stellte in Konsequenz seiner Argumentation fest, daß es ein größeres Verbrechen sei, einen Schimpansen zu töten als einen schwerst geistig behinderten Menschen, da der Schimpanse im Sinne obengenannter Definition eine Person sei. Prof. Dr. Luther bezeichnete diese Argumentation als einen Freibrief für Selektion und Aberkennung der menschlichen Würde. Die zweite Richtung geht demgegenüber davon aus, daß es Kriterien wie Solidarität und Mitmenschlichkeit sind, die uns zum Menschen machen. Die Menschenwürde sei das höchste Gut und unantastbar. Dies gelte auch für Embryonen.
Dr. habil. Viola Schubert-Lehnhardt definierte zunächst den Beitrag, den sie als Ethikerin in die gegenwärtige gesellschaftliche Debatte einbringen kann. Nach ihrer Meinung bestünde er vor allem in der Analyse von Begriffen und der Offenlegung oft unausgesprochener Prämissen kontroverser Positionen. Ausführlich äußerte sie sich zur Selbstbestimmung von Frauen angesichts neuer Möglichkeiten der Gentechnologie. Der Begriff Selbstbestimmung sei mit dem der Selbstverantwortung eng verbunden. Insofern müsse der zu beobachtende schleichende Bedeutungswandel des Begriffes Verantwortung stärker in die Diskussion einbezogen werden. Die Tendenz, ihn zunehmend im Sinne einer qualitativen Auswahl zu fassen, führe beispielsweise dazu, daß nur noch diejenigen als verantwortungsvoll gelten, die sich eugenischen Maßstäben unterwerfen. Schon heute widerspiegele die öffentliche Meinung - so Schubert-Lehnhardt: "Je einfacher es technisch wird, genetische Mißbildungen des Fötus zu diagnostizieren, desto mehr Schuld wird Eltern/Müttern zugewiesen, wenn sie behinderte Kinder zur Welt bringen." Notwendig sei unter anderem die Auseinandersetzung mit Denkmodellen, die Planbarkeit und technokratische Verwaltung des Körpers als Zeichen von Befreiung der Frau ansehen und das Ziel der pränatalen Diagnostik nicht als Eugenik, sondern als rationale Lebensplanung erscheinen lassen.
Demgegenüber vertraten Prof. Dr. Ingo Hansmann (Institut für Humangenetik und medizinische Biologie der MLU Halle) und Prof. Dr. Herbert Meyer (ZEM Erfurt) die Meinung, daß man zumindest über das positive Potential vorgeburtlicher Diagnostik nachdenken müsse. Am Beispiel mehrerer schwerster Erbkrankheiten, darunter fortschreitender Muskelschwund, Mukoviszidose und auch eine Veranlagung zu bestimmten Krebsarten, machte Prof. Dr. Hansmann deutlich, daß die Anwendung der bislang gesetzlich gestatteten vorgeburtlichen Diagnosemethoden die Zahl der Neugeborenen mit genetisch bedingten Krankheiten bzw. Behinderungen im letzten Jahrzehnt in den Industriestaaten stark reduzierte. Er betonte im Rahmen der Diskussion, er erachte alle Formen von Leben als schützenswert. Jedoch müsse man seiner Ansicht nach den Grad der Schutzwürdigkeit von Lebensformen in Abhängigkeit von deren biologischen Entwicklungsstand differenziert betrachten. Es sei die Personalität, die den Menschen zum Menschen macht und diese Personalität hat biologische Grundlagen. Einem menschlichen Embryo stände erst dann der Schutz zu, der einem Menschen zukommt, wenn die Differenzierung der embryonalen Zellen eingesetzt hat. Erst an diesem Punkt beginnt die Entwicklung jenes zentralen Nervensystems, das uns von allen anderen Lebensformen unterscheidet. Sein Referat machte jedoch noch etwas anderes deutlich. Es gibt Aspekte der Thematik, in denen Kritiker und Befürworter der PID durchaus übereinstimmen können. Auch Prof. Dr. Hansmann sprach sich eindeutig für das Recht der Frau auf Handlungsautonomie aus. Prof. Dr. Meyer brachte einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein. Bei medizinischer Indikation, das heißt wenn eine schwere Schädigung des Kindes oder der Mutter zu erwarten ist, kann ein Schwangerschaftsabbruch auch bis kurz vor dem Einsetzen der natürlichen Geburt eingeleitet werden. Je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist, desto größer werden auch die körperlichen und psychischen Belastungen der Schwangeren. Ein Teil der Kindesschädigungen, die zum späteren Abbruch führen, wären durch eine PID von vornherein vermeidbar. Prof. Dr. Meyer regte an, auch darüber künftig stärker nachzudenken.
Frau Maria Markowsky (KALEB) äußerte ihren Standpunkt aus christlich-religiöser Sicht. Dabei wurde deutlich, wie kompliziert sich die Diskussion über positive Potentiale der Genforschung auf dieser Grundlage gestaltet. Bei aller Wertschätzung der Motive der Wissenschaft, Schwerkranken zu helfen - so ihre Auffassung - seien "das Manipulieren, Entkernen von Eizellen, stille Selektion durch PID ein Verstoß gegen die Menschenwürde". Sie sprach unter anderem von "vorgeburtlicher Kindstötung" oder auch" abgetriebenen kleinen Menschen", die als "Versuchskaninchen" verwendet würden. Damit rückte erneut die Frage in den Mittelpunkt, wann das menschliche Leben, gegenüber dem Menschenwürde nicht abwägbar sein darf, beginnt.
Aus einem ganz anderen Blickwinkel äußerte sich Dr. Giovanni Maio (Medizinische Universität Lübeck) zum Thema der Tagung. Er untersuchte den gesellschaftlichen Umgang mit der Genetik im Spiegel des deutschen Fernsehens. Ausgehend von den Gestaltungsregeln der Fernsehberichterstattung wies er an ausgewählten Beispielen nach, daß durch dieses Medium weniger manipuliert als vielmehr die öffentliche Meinung zu Fragen der Genetik widergespiegelt wird. Nur Themen, die von breitem öffentlichen Interesse sind, können medienwirksam verarbeitet werden und bringen Quote. Ihre Darstellung wird dabei in der Regel den Vorstellungen breiter Bevölkerungsschichten angepasst.
Das Statement von Inés Brock (Landesvorsitzende BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), mit dem die Tagung abgeschlossen wurde, zeigte noch einmal die ganze Kompliziertheit und Widersprüchlickeit der Thematik. Nach ihrer Auffassung müsse es im Zusammenhang mit der Diskussion um die Einführung von PID "erlaubt sein, tabufrei auch darüber zu reflektieren, was die bereits existierenden vorgeburtlichen Untersuchungen mit den Frauen, Eltern und Kindern machen! Das heißt auch kritisch nachzufragen, ob die medizinische Indikation des § 218 ff. wirklich unantastbar bleiben muß. Spätabtreibungen sind ein Trauma für Frauen und medizinisches Personal. Ja, ein in der 23. Schwangerschaftswoche abgetriebenes Kind hat ein vermeintlich höheres Lebensrecht als ein Embryo im 8-Zell-Stadium. Der Schluß daraus kann jedoch nicht heißen, wir müssen die PID erlauben, sondern wir müssen neu darüber nachdenken, warum genetisch bedingt behinderte Kinder überhaupt aussortiert werden. Nur ein Bruchteil der Behinderungen ist genetisch bedingt."
Die Tatsache, daß Menschen durch wissenschaftlich-technische Möglichkeiten an die Grenzen ihrer Entscheidungsfähigkeit gestoßen sind, daß eine breite Debatte zwischen Verantwortlichen in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Laien erforderlich ist, zeigte sich am gesamten Verlauf der Tagung. Anschaulich gemacht wurden neue Dimensionen der Frage danach, was menschliches Leben ist und wann es beginnt. Gefragt wurde nach dem Wesen der menschlichen Würde, ihrem Stellenwert gegenüber der Freiheit der Forschung in einer Gesellschaft, in der traditionelle Wertbezüge mit Macht verändert werden. Brauchen wir neue ethische Maßstäbe? - war aus der Diskussion herauszuhören. Die Ethik, so die übereinstimmende Meinung der Anwesenden, hat mehr zu sein als die "nachträgliche Akzeptanzbeschafferin für das Machbare".
Die Position, die jeder Einzelne vertritt, ist von Kriterien wie Weltanschauung, berufliche und persönliche Erfahrungen oder auch durch den familiären Hintergrund und den Bildungsstand in hohem Maße geprägt. Betrachtet man die gegenwärtig stattfindende Diskussion, so kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß sowohl die Gegner der PID als auch die Befürworter derselben auf zwei Seiten eines tiefen Grabens stehen - eines Grabens der nur durch einen konstruktiven Meinungsaustausch über Möglichkeiten der Genforschung und notwendige moralische Standards auf diesem Gebiet aufgefüllt werden kann. Dieser Prozeß verlangt Kompromisse von beiden Seiten und wird in der Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich noch lange Zeit in Anspruch nehmen.
Die Antworten auf einige Grundsatzfragen sind nicht leicht zu finden. Was macht den Menschen zum Menschen? - "Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen. Dadurch ist er eine Person [...] selbst wenn er das Ich noch nicht sprechen kann, weil er es doch in Gedanken hat: wie es alle Sprachen, wenn sie in der ersten Person reden, doch denken müssen, ob sie zwar diese Ichheit nicht durch ein besonderes Wort ausdrücken. Denn dieses Vermögen (nämlich zu denken) ist der Verstand." schrieb Immanuel Kant vor nahezu dreihundert Jahren . Wann aber beginnt das menschliche Leben? Im Hinblick auf diese Frage, die ohne Zweifel die Entscheidung pro oder contra PID beeinflußt, gehen die Auffassungen weit auseinander. Ist bereits die einzelne Zelle, die im Ergebnis der Verschmelzung von Eizelle und Spermium entstand, unter dem Gesichtspunkt ihres möglichen genetisch determinierten Entwicklungspotentials betrachtet, ein Mensch und hat damit Anrecht auf die Privilegien und Pflichten menschlicher Würde? Das deutsche Recht bejaht diese Frage bislang uneingeschränkt. Die PID ist noch verboten. Aber es mehren sich in der Bundesrepublik Deutschland die Stimmen, die eine Lockerung des geltenden Embryonenschutzgesetzes wünschen. Gemäß einer Emnid-Umfrage im April diesen Jahres teilten nur 32 Prozent aller Befragten die in der BRD geltende obengenannte Rechtsauffassung. 62 Prozent hielten einen späteren Zeitpunkt, von dem ab ein Embryo als menschliches Wesen geschützt werden sollte, für angebracht. 48 Prozent der Befragten sprachen sich des weiteren für die Zulassung der PID aus, 47 Prozent waren dagegen. Mit Sicherheit gibt es auch starke wirtschaftliche Interessen für dieses Begehren . Zugleich muß man das große positive Potential der Gen- und Stammzellforschung, insbesondere auf dem Gebiet der Krankheitsprävention und -bekämpfung, sehen. Ein Potential, das in anderen Staaten der Europäischen Union seit Jahren erforscht wird - sind die gesetzgebenden Organe dieser Staaten verantwortungsloser?
Es werden nicht die wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Möglichkeiten der Genetik die größte Herausforderung des neuen Jahrtausends sein, sondern unsere Fähigkeit, neue Wege zu finden, mit diesen neuen Techniken verantwortungsbewußt umzugehen.

<< zurück