Orte moderner diskursoffener politischer Bildung schaffen Schlaglichter von der Mitgliederversammlung der Rosa-Luxemburg-Stiftung

In seiner Rede vor der MGV der rls im November 2005 positionierte sich Bodo Ramelow zur Entwicklung sowohl der Fraktion als auch zum Fusionsprozess der Linkspartei mit der WASG. Ausdrücklich unterstrich Ramelow, dass die Linkspartei die Partei des demokratischen Sozialismus ist und auch bleiben soll.
Im Fusionsprozess wird es daher sehr stark darum gehen, über den demokratischen Sozialismus in allen Bundesländern Foren durchzuführen. Hierbei werden die unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen beider Parteien auch ihren Niederschlag in der neu zu führenden programmatischen Debatte bzw. der damit verbundenen Selbstverständnisdiskussion finden. Setzen doch 60.000 Mitglieder der Linkspartei.PDS und 15.000 Mitglieder der WASG unterschiedliche Schwerpunkte.
Steht für die einen demokratischer Sozialismus, soziale Demokratie, der Sozialstaat der 70er Jahre der Altbundesrepublik, so steht für die anderen "nur" demokratischer Kapitalismus in deutscher, skandinavischer bzw. angelsächsischer Couleur zur Debatte. Es wird spannend sein, die Inhalte, Standpunkte, Wirkungsmöglichkeiten dieser Begriffsbestimmungen in der Debatte um die Fusion beider linker Parteien zu verfolgen. Professor Rolf Reißig mahnte dazu jedoch an: Eine anzustrebende demokratisch sozialistische Partei kann weder die Rekonstruktion des kommunistischen Parteityps noch des sozialdemokratischen sein. Funktion, Identität, zentraler Entwicklungspfad und zentrales gesellschaftliches Projekt sind unter den Bedingungen der heutigen von kapitalistischer Produktionsweise dominierten Gesellschaft neu zu bestimmen. Sicher muss seiner Auffassung nach eine Partei sowohl Wahlgesichtspunkten und Meinungsbildungsprozessen entsprechen, als auch ein zentrales gesellschaftliches Projekt besitzen. Dieses Projekt soll hierbei die Frage der Hegemonie bzw. der Entwicklung von Gegen-Hegemonie beantworten.
An die Rosa-Luxemburg-Stiftung erging die Anfrage, wie dieser Fusionsprozess in Orten moderner diskursoffener politischer Bildung untersetzt wird. Dazu sind neben den Foren auch Grundlagenwissen festgehalten in fünf neu zu entwickelnden Bildungsheften angefragt.
Doch zurück zu Aktuellem. Bodo Ramelow ging auf die Schwierigkeiten einer Fraktionsbildung ein, die erstmals mehrheitlich von westsozialisierten Abgeordneten getragen ist. Er maß der Vertretung der Linkspartei in den Ländern und Länderregierungen und damit ihrer Bundesratsverankerung schon in der Weise hohen Stellenwert zu, das nur mit der aus Linkspartei- und FDP- Vertretern gewonnenen Sperrminorität in der Länderkammer verfassungsändernder Gesetze begegnet werden kann. In einer Zeit doppelten Verfassungsbruches bei neoliberaler Hegemonie sind unerwünschte Debatten in Richtung weiteren Sozialstaatsabbau leider zu erwarten. Doppelter Verfassungsbruch bedeutet hier die Entscheidung des deutschen Bundestages die Ausgaben für Rüstung als Investive, die für Bildung als Konsumtive zu verabschieden. Weiterer Schwerpunkt der Fraktionsarbeit wird unter anderem der Umgang mit dem Eigentumsrecht, hier speziell mit der Leistungsbewertung des römischen Rechts, sein. Die Frage ist zu stellen: Ob der Besitz von Grund und Boden zwingend auch das Eigentumsrecht von allem darauf befindlichen ableitet?
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wurde von Petra Pau neben der Bejahung der Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte zum Investitionsbegriff einschl. der Umwidmung von Zukunftsausgaben für Bildung von konsumtiven zu investivem Gut auch die Gefahr weiterer Privatisierung thematisiert. Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren, diese Gefahr steht in vielen Bereichen, heute noch in öffentlicher Daseinsfürsorge befindlich, an. Betroffen hierbei Krankenhäuser, Stadtwerke, Personennahverkehr und leider auch Bildung. Sie steht scheinbar deswegen an, weil europäische Gesetzgebung dies erfordert. Ergänzt wurde diese Debatte um Sarah Wagenknechts Ausführungen zur Bolkestein- (Dienstleistungs-) Richtlinie.
Mit der starken Westverankerung der Linkspartei-Fraktion ist bei vielen Diskussionsteilnehmern die Hoffnung verbunden offensiv die Debatte um Tätigkeit und Wirken des MfS zu führen einschl. des Diskurses zum Umgang mit den Unterlagen des MfS durch die Birthler-Behörde. Hier konnte die MGV zu keiner abschließenden Meinung kommen. Die Debatte wird uns ins nächste Jahr begleiten.
Professor Reinhard Mocek kennzeichnete aus philosophischer Sicht die heutige Gesellschaft als eine die Freiheit und Selbstverantwortung in den Blickwinkel der öffentlichen Debatte rückt, dabei aber den Werten Gleichheit (ableitend soziale Gerechtigkeit) und Brüderlichkeit (ableitend Solidarität) eine nachgeordnete Bedeutung zumisst, und in der der Staat als Reparaturinstrument im Sinne des Ausgleichs in einer kapitalistisch dominierten Gesellschaft fungiert. Er unterstellt dabei handelnden Politiker und "Wirtschaftskapitänen" noch individuelle Glaubwürdigkeit. Mocek untersetzte diesen Gedanken mit Adornos Ausspruch: "Ein deutscher Politiker ist ein Mensch, der keine Lüge auszusprechen wagt, ohne sie zu glauben". Er mahnte an, nicht nur Erinnerungswissen neu zu interpretieren, sondern aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen. Somit ist die neu zu führende programmatische Debatte am Wert des demokratischen Sozialismus als Fernziel so auszurichten, dass sie mit konkreten Projekten in der heutigen Gesellschaft zu flankieren ist. Ein abgeschlossenes einzig wahres Bild von einer Gesellschaft, die die Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit miteinander ausgewogen verbindet, kann somit noch nicht entworfen werden. All denen schon heute das Bild der morgigen Gesellschaft klar vor Augen steht, begegnet er mit folgendem Zitat aus dem Talmud: "Der Mensch ist Weise solange er die Wahrheit sucht, er wird zum Narren, soweit er glaubt sie gefunden zu haben".
Der derzeitige und in vielen Texten der Stiftung sichtbare makroökonomische Blickwinkel ist durch den Focus landespolitischer Entwicklungsmöglichkeiten und Erfordernisse zu bereichern. Hierbei kommt der Stärkung der Arbeitsfähigkeit der Landesstiftungen (Ost) und der Vereine (West) durch Vergabe zusätzlicher finanzieller Mittel an diese eine originäre Bedeutung zu. So kann der Netzwerkcharakter und die Analyse des Alltäglichen gestärkt und der Stiftungsverbund bestehend aus einer Zentrale und Vertretungen mit eigenständigem Profil bei Kooperation mit ausgewählten Partnern zu einem Think-Tank der Gegenhegemonie weiter entwickelt werden. Dieser Prozess wird seinen Niederschlag auch in inhaltlich-thematischen Gesprächskreisen finden. In die Arbeit einer als Netzwerk konzipierten "Denkfabrik" sind neben der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2006 auch die Renaissance marx'schen Denkens aufzunehmen. Erste Ziele sind eine Reihe mit eben diesem Titel bzw. mit "Marx ins 21. Jahrhundert". Professor Kurt Pätzold wies bei der Konzipierung dieser Reihen darauf hin, das schon heute das begriffliche Instrumentarium zum Verständnis der Gesellschaft fehle bzw. ausstirbt. Dieser Gesichtspunkt ist in der Anlage der Bildungshefte zu berücksichtigen, genauso wie sie kontrovers, systematisch, begriffsklärend sein sollen und Wissenstransfair ermöglichen müssen (Klaus Höpcke).
Spannend auch weiterhin zu verfolgen wie die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu führen ist. Nicht nur das ein Erstarken des Antisemitismus zu verzeichnen ist, auch der schleichenden Verbreitung rechtsextremen/ neofaschistischen Gedankengutes soll in 2006 nach eingehender Debatte im Kuratorium der Stiftung entgegengewirkt werden, so Prof. Christa Luft in ihren Ausführungen. Dabei wird es schwierig sein mit dem Begriff des Rechtsextremismus gesellschaftlich wirkungsvoll zu werden, ohne damit gleichzeitig aufhebende Auseinandersetzungslinien über das Linksextreme zu befördern, wohl wissend, welche Denkmuster damit verbunden sind. Neben der Ausrichtung des Kuratoriums zu einem Ort moderner diskursoffener Debatte durch plurale Einbeziehung linker Akteure mit all ihren unterschiedlich gewichtigen Standpunkten, Richtungen und Bewegungsverankerungen; der Debatte: "Ob Sozialismus und/ oder Links" sind weitere Schwerpunkte für das kommende Jahr ausgemacht und sollen hier nur aufgezählt sein: Verfassungsdiskussion, Entwicklung der EU, Auseinandersetzung mit der inneren Sicherheit; Analyse des Internationalismus, die internationale Entwicklung der Linken und der Parteibildungsprozess in der Bundesrepublik bei starker Einbeziehung der Länder.
In diesem Zusammenhang wird es für ein linkes Parteiprojekt von Bedeutung sein, die Aufgaben von Parteireform mit dem Schwung des Fusionsprozesses und von Wahlen zu bündeln. Ziel soll sein, Wahlkampf auch zwischen Wahlzeiten so zu verstetigen, das Meinungsbildung in politischen Großorganisationen attraktiver wird und bleibt.
Abschließend sei auf den erst kürzlich erschienenen Jahresbericht der rls, die Texte zur Entwicklung des Stiftungsverbundes 2006 ver- und auf die Diskussion der Projekte und Schwerpunktvorhaben politischer Bildung in Sachsen-Anhalt auf unserer MGV am 20.12. hingewiesen.

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