MEHR WOHLFAHRTSPRODUKTION WAGEN – EINE ÖKO-SOZIALE WIRTSCHAFTSPOLITIK IST MÖGLICH VON CORNELIA HEINTZE

Seit Jahren finden sich die skandinavischen Länder (Finnland, Schweden, Dänemark, Norwegen und Island) bei internationalen Vergleichen auf vorderen Rangplätzen. Sie kombinieren die weltweit höchsten Staatsquoten und effektiven Steuerbelastungen mit Spitzenwerten bei allen wichtigen Themen von Beschäftigung, Bildung, soliden Staatsfinanzen und ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit bis zu Geschlechterdemokratie, Volksgesundheit und Umweltverträglichkeit (Heintze 2005: Wohlfahrtsstaat als Standortvorteil, Leipzig: RLS).

Eindrucksvoll widerlegen sie die Gültigkeit neoliberaler Behauptungen. Weder erweist sich die hohe Steuerlast als schädlich für die wirtschaftliche Dynamik noch ist eine Zunahme sozialer Ungleichheit unausweichlich. Auch unter„Globalisierungs“bedingungen gibt es Alternativen zu einer Politik der sozialen Ausgrenzung und des ökologischen Raubbaus. Während die angelsächsischen Länder - von den USA mit 290 bis zu Irland mit 4 Mio. Einwohnern - hohe Beschäftigungsraten mit hoher sozialer Ungleichheit erkaufen, verstehen sich die skandinavischen Länder weiterhin als egalitäre Gesellschaften. Binnen weniger Jahre konnten sie die Arbeitslosigkeit halbieren und hohe Haushaltsdefizite in Haushaltsüberschüsse verwandeln. Die soziale Absicherung blieb hoch und das Armutsrisiko ist weltweit nirgends so gering. Kinderarmut z.B. wird durch staatliche Umverteilung im Schnitt um 80 Prozent reduziert verglichen mit 10 – 15 Prozent in den angelsächsischen Ländern. Ergebnis sind Armutsquoten zwischen 2,4 Prozent (Dänemark) und 4,2 Prozent (Schweden); in den angelsächsischen Ländern erreicht die Kinderarmut dagegen Quoten zwischen 15 und 22 Prozent. Deutschland liegt (10,3 Prozent) im Mittelfeld mit freilich negativer Tendenz.

Zentraler Erfolgsfaktor des skandinavischen Entwicklugnspfades ist der auf Basis von Bürgerrechten umfassend ausgebaute und in besonderer Weise unbürokratisch gestaltete Wohlfahrtsstaat. Politik ist dabei nicht sektoral verengt, sondern integrativ angelegt. Dass Finnland sowohl beim ökologischen Nachhaltigkeitsindex ESI 2005 wie bei PISA wie beim ökonomischen Wettbewerbsranking des Weltwirtschaftsforums Platz 1 belegt und die anderen skandinavischen Ländern ebenfalls Spitzenplätze einnehmen, zeigt die Überlegenheit integrativer Politik.

Für die Konzipierung linker Wirtschaftspolitik ergeben sich eine Reihe von Schlussfolgerungen. Zentral ist Folgendes:


Es reicht nicht, nur in Richtung klassischer keynesianischer Nachfragepolitik zu denken. Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage (Hebung der Massenkaufkraft via höhere Löhne; gesetzliche Mindestlöhne; Steigerung der öffentlichen Investitionen) bringen konjunkturelle Impulse. Dies ist notwendig, löst aber nicht die Probleme von Massenarbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung.

Von Skandinavien lernen bedeutet, den volkswirtschaftlichen Nutzen und die finanzpolitische Machbarkeit einer Ausweitung öffentlicher Dienstleistungsproduktion zu erkennen. Schon 1998 kamen in Dänemark auf 1000 Einwohner 169 Erwerbstätige in Kultur und gesellschaftsbezogenen öffentlichen Dienstleistungen (incl. öffentlicher Verwaltung) gegenüber nur 114 Erwerbstätigen in Deutschland. Diese Diskrepanz ist seither nicht geringer, sondern größer geworden. Dass es in Dänemark Vollbeschäftigung und ein vergleichsweise hohes Wirtschaftswachstum gibt, hat auch mit dem hohen Niveau öffentlicher Dienstleistungen zu tun.

Durch weniger Geldverteilung an Haushalte und Unternehmen und dafür mehr direkten Staatsverbrauch in Zukunftsfeldern wie Kinderbetreuung, Familienfürsorge und Bildung von der Vorschule bis zur Universität ließen sich auch in Deutschland hunderttausende neuer Arbeitsplätze im 1. Arbeitsmarkt schaffen. Sie wären keineswegs unproduktiv; im Gegenteil. Mit einem Ausgabenniveau für Bildung, das um annähernd 3 BIP-Prozentpunkte entsprechend
50 – 60 Mrd. Euro über den kümmerlichen deutschen Bildungsausgaben liegt, haben die skandinavischen Länder den eigenen Wirtschaftsstandort gestärkt und wurden zu Innovationsführern in der EU und weltweit.

Nicht im weiteren Ausbau eines Niedriglohnsektors gemäß Magdeburger Kombilohnmodell liegt die Zukunft. Erst recht gibt es keinen Grund, sich vom Ziel Vollbeschäftigung zu verabschieden und die Ausgrenzung von Millionen Menschen aus dem Erwerbssystem dadurch zu beschönigen, dass ein garantiertes Grundeinkommen für alle gefordert wird. In der Praxis wäre dies nicht mehr als „Hartz IV für alle Ausgegrenzten“.

Statt den Streit um eine theoretisch „richtige“ Wirtschafts- und Finanzpolitik zu pflegen, sollten wir von erfolgreicher Praxis lernen. Ideen dafür finden wir beim Blick über die Ostsee, nicht beim Blick über den Atlantik und nicht beim Blick ins ökonomische Lehrbuch.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. Cornelia Heintze
StK a.D., Politologin und Coach
Cöthner Str. 64
D-04155 Leipzig
Dr.Cornelia.Heintze@t-online.de
www.dr-heintze-beratung.de

<< zurück